in aeternam [] Variationen in Zeit und Ewigkeit

in aeternam – „in ewige ...“, eine sichtlich unvollständige Formulierung. Ihr fehlt das eigentliche Zielwort. Eine Lücke wird sichtbar, die zu füllen ist. Traditionell wird sie mit Worten wie vitam, pacem oder requiem, Leben, Frieden oder Ruhe ergänzt, und es geht dann um unverlierbares Leben, ewigen Frieden und endgültiges Aufgehobensein. Wir haben mit in aeternam eine unvollständige Formulierung gewählt, mit der sich einerseits andeutet, dass es alltagssprachlich mit dem Stichwort ‚Ewigkeit’ zunächst um ein menschliches Wünschen geht, um ‚unser’ Begehren nach Dauer und Bestand. Stets sind wir selber es, die dieses Begehren füllen. Wir erleben nicht nur, wie die Zeit vergeht; wir wünschen uns auch, dass das, was wir als sinnhaft erleben, nicht ausgelöscht werde und nicht verloren geht. Von Anfang an ging es darum, Beglückendes als bleibend zu fixieren. Gerade das Kostbare eines Gelingens, eines Heilwerdens oder Gerettetseins wurde mit dem Wunsch versehen, sich auf immer als dauerhaft zu erweisen.
 
Was wir als „ewig“ wünschen oder erwarten, ist keineswegs festgeschrieben. Es ist veränderbar und hat seine eigene Geschichte. Jeder der drei geplanten Vorträge wird das auf seine Weise verdeutlichen. Mit dem Stichwort ‚Ewigkeit’ verbindet sich meist die Vorstellung einer zeitlosen Dauer. Ewigkeit – das ist dann ein Raum jenseits der Zeit, in dem nichts geschieht. Ursprünglich ging es jedoch nicht um die Vorstellung einer statischen, unbewegten und zeitunabhängigen Ewigkeit. Sie wuchs erst spät den biblischen Wurzeln zu, die unsere Vorstellungen von Zeit und Ewigkeit auch heute noch nachhaltig prägen. Am Anfang ging es um das Beständige, nicht Vergehende, um unwandelbare Treue zu allem, was gilt – über die eigene Zeit hinaus.
 

Demgegenüber sind heutige Zeiterfahrungen vieler Menschen irritierend. Aktuelle zeitdiagnostische Veröffentlichungen sprechen davon, dass das Zeitraster der Moderne zerbrochen und deshalb „die Zeit aus den Fugen“ sei (Aleida Assmann), dass die moderne Finanzökonomie von ungedeckten Zukunftsanleihen lebe und deshalb von einer „Verpfändung der Zeit“, einem „zerstörerischen Geschäft mit dem Morgen“ zu reden sei (Joseph Vogl), und dass es einen Zusammenhang von „Beschleunigung und Entfremdung“ gebe (Hartmut Rosa). So führe die „Knappheit der Zeit“ zur „Vordringlichkeit des Befristeten“ (Niklas Luhmann). Andere sprechen demgegenüber von einer „Eroberung der Zeit“ und meinen damit die Erwartung, dass mit steigender Lebenserwartung auch die Erfahrung der Dehnung und Verlängerung der Zeit einher gehen werde (Sebastian Knell). Wozu ist die Zukunft geworden? Je mehr uns die alte Fortschrittsgewissheit abhanden gekommen ist, desto mehr wird uns bewusst, dass in der Zukunft die Lasten und Anleihen unserer Gegenwart zu ertragen und vielleicht aufzuarbeiten sind. Zukunft erscheint nicht mehr als der offene Raum unaufhaltsamen Fortschritts, sondern als bedrohlich und unkalkulierbar.
 
Mit dem Stichwort „Ewigkeit“ kommt etwas anderes ins Spiel. Mit der Ewigkeit geht es nicht um die schließliche Erfüllung offener Wünsche, sondern um das ganz Andere unserer Endlichkeit – weder von uns zu verbrauchen, noch zu beherrschen oder zu zerstören. Ewigkeit ist nicht die unerschöpfliche Ressource aller ungelebten Möglichkeiten, nicht die Erfüllung ungestillter Lebenswünsche. Ewigkeit, als Zeit Gottes verstanden, ist das Andere unserer Zeit, nicht ihre endlose Verlängerung.
Zeit und Ewigkeit kommen so in ein spannungsvolles und lebensdienliches Verhältnis. Im Neuen Testament wird das an einer Stelle im zweiten Korintherbrief thematisiert. Der Missionar Paulus schreibt hier von sich, er würde sich nicht am Sichtbaren, sondern am Unsichtbaren orientieren, mit dem Argument: Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig (2 Kor 4,18). Das Unvergängliche bleibt den Augen unserer Endlichkeit verborgen. Und dennoch bringt es eine Dimension ins Spiel, die uns den unersetzlichen Wert unserer Endlichkeit in steter Gegenwärtigkeit spüren lässt. Das bedeutet nicht nur, „dass wir durch die unsichtbaren Dinge zur Kenntnis der sichtbaren gelangen,“ wie der französische Autor und Diplomat Paul Claudel es ausdrückte, sondern auch, dass sehr konkret von einem ‚ewigen Leben’ zu sprechen wäre, das bereits diesseits des Todes in der gegenseitigen Liebe von Menschen erfahrbar wird, wie der Evangelist Johannes es tat (Joh 11,25f.; 12,50; 15,12).
 
Der nordafrikanische Theologe Augustinus (354-430) hat in seinen autobiographischen Bekenntnissen seine Verwunderung über die Eigenart der Zeit zum Ausdruck gebracht: „Was ist also Zeit? Wenn mich niemand fragt, weiß ich es. Will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht.“ (Conf 11,20,26). Er kam zu dem Schluss, dass es in Wirklichkeit stets nur Gegenwart gebe: Die Gegenwart der Zukunft, der Vergangenheit, der Gegenwart: gegenwärtige Erinnerung an Vergangenes, gegenwärtiges Anschauen von Gegenwärtigem, gegenwärtige Erwartung von Zukünftigem. Und Augustin erklärt das so: „Zweifellos existiert Zukünftiges noch nicht, aber im Geist existiert die Erwartung zukünftiger Dinge. Zweifellos existiert das Vergangene nicht mehr, aber im Geist existiert noch die Erinnerung ans Vergangene. Zweifellos fehlt der Gegenwart jede Ausdehnung, da sie im Augenblick vorbeigeht, aber was Dauer behält, ist die Aufmerksamkeit, durch die hindurch das Kommende übergeht ins Gewesene.“ (Conf. 11,28,37). Unser Nachdenken über Zeit und Ewigkeit mündet so in eine vertiefte Wahrnehmung unserer Gegenwart, des uns Gegenwärtigen. Hier entscheidet sich, wie wir leben.
Christa Wolf schloss ihr ‚Nachdenken über Christa T.’ (1968) mit der Frage: „Wann, wenn nicht jetzt?“ Rabbi Hillel (Sprüche der Väter, mAv 1,14) pflegte zu sagen: „Wenn ich nicht für mich, wer für mich, und bin ich nur für mich, was bin ich, und wenn nicht jetzt, wann denn!“
 
Eckart Reinmuth
 

Kurrende und Rostocker Motettenchor im Konzert am 8.11.2015
Photo: Arnt Löber

Rostocker Motettenchor im Konzert am 8.11.2015 (Uraufführung der Motette ‚Immer noch durstig’ von Eckart Reinmuth und Karl Scharnweber; am Flügel der Komponist); Schauspieler des Volkstheaters Rostock (Lesung der ‚Vorhölle’ von Luc Boltanski).
Photo: Arnt Löber

Uraufführung (15.11.2015) des Vaterunsers von Karl Scharnweber mit dem Choralchor der St.-Johannis-Kantorei und Jana-Christin Walter (Sopran); am Saxophon Thomas Klemm/Berlin, am Flügel der Komponist.
Photo: Arnt Löber

Aufführung des Requiems von Wolfgang Amadeus Mozart mit dem Figuralchor der St.-Johannis-Kantorei, der Norddeutschen Philharmonie Rostock und Hanna Herfurtner, Sopran; Annerose Kleiminger, Alt; Clemens Bieber; Tenor; Sebastian Bluth, Bass (22.11.2015).
Photo: Arnt Löber