Geschichte

Die Theologische Fakultät der Universität Rostock – Ein kleiner geschichtlicher Rundgang

Die Theologische Fakultät der Universität Rostock ist die älteste theologische Fakultät im Ostseeraum. Sie hat unruhige Zeiten und kritische Umbrüche hinter sich. Weil nach 1989 ein kompletter Neuanfang gewagt wurde, ist sie heute eine extrem junge Fakultät mit langer Geschichte.

Die Gründung der Theologischen Fakultät in Rostock fällt in unruhige Zeiten. Als Papst Martin V. am 13. Februar 1419 wenige Monate nach Ende des Konzils zu Konstanz die Gründung eines Studium generale in Rostock genehmigt, umschließt sein Privileg neben den Artes liberales nur die Medizin und die Jurisprudenz, untersagt aber ausdrücklich die Einrichtung einer theologischen Fakultät. Zwar wird wenige Monate später mit Petrus Stenbeke ein Theologe zum ersten Rektor der Universität ernannt, aber die Theologie gehört trotzdem nicht zum Kanon der in Rostock gelehrten Wissenschaften. Möglicherweise fürchtete der Papst den im frühen 15. Jahrhundert blühenden Geist des Konziliarismus, vermutlich auch den des böhmischen Hussitismus. Vielleicht hoffte er, diesen Tendenzen den Boden zu entziehen, indem er ihnen den akademischen Resonanzboden verschloss. Genaueres wissen wir nicht. Sicher ist jedoch, dass erst sein Nachfolger, Eugen IV., den Weg für die Theologische Fakultät frei macht. 1432, dreizehn Jahre nach der Gründung der Universität, erhält die theologische Fakultät ihre Zulassung. Die ersten Jahre verlaufen jedoch unruhig. Als die Universität wenig später wegen eines innerstädtischen Konfliktes den Lehrbetrieb ins benachbarte Greifswald verlegen muss und erst nach mehreren Jahren wieder an die Warnow zurückkehren kann, bleibt ein Teil der Professoren am neuen Wohnort und beteiligt sich am Aufbau einer neuen Universität. Das ist die Geburtsstunde der Universität Greifswald, die 1456 offiziell eröffnet wird und, wenn man so will, die erste Tochtergründung der Rostocker Alma mater.

In der Folgezeit entwickelt sich Rostock zur führenden Bildungsstätte im baltischen und nordischen Raum – jetzt freilich in Konkurrenz zu Greifswald und den in Skandinavien neugegründeten Universitäten Uppsala (1477) und Kopenhagen (1479). Bei den Theologen blüht der Humanismus, der innerhalb der Kirche als Reformkatholizismus in Erscheinung tritt. Man greift zu den Quellen und studiert sie in den Originalsprachen, eine hebräische Grammatik wird herausgegeben. An der Universität lehren im frühen 16. Jahrhundert zahlreiche Persönlichkeiten, die über die Region hinaus bekannt sind, darunter der Theologe Bartold Moller (†1530), der Historiker Albert Krantz († 1517) sowie die Humanisten Conrad Celtis († 1508) und Nikolaus Marschalk († 1525). Auch Ulrich von Hutten († 1523) gehört zu denen, die den Weg nach Rostock finden. Die Einführung der Reformation in Rostock lässt freilich auf sich warten. Außerdem gehen nicht die Theologen der Fakultät voran, sondern einzelne Prediger an den innerstädtischen Kirchen, insbesondere Joachim Slüter († 1532) an St. Petri und Valentin Korte/Curtius († 1567) an St. Marien. Erst als diese sich mit Unterstützung des Stadtsyndikus Johann Oldendorp († 1567) gegen ihre katholischen Kontrahenten durchgesetzt haben – es ist jetzt bereits ein Jahr nach dem Augsburger Reichstag, auf dem die Reformatoren das berühmte Augsburgische Glaubensbekenntnis vorgelegt haben – wird auch die Universität nach dem Vorbild Wittenbergs reformiert (1531). Fortan gelten die Schriften Martin Luthers und Philipp Melanchthons als Grundlage der Lehre. Einer der Schüler Melanchthons ist David Chyträus († 1600), der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Geschicke der Rostocker Universität wesentlich prägt. Sein Einfluss erstreckt sich auch auf die Entwicklung des deutschen Luthertums, wie sich an der Entstehungsgeschichte der Konkordienformel zeigt. Außerdem nimmt er durch seine vielfältigen Beziehungen auf die Reformation in Schweden ebenso wie in Österreich Einfluss. Sein Bruder Nathan Chyträus († 1598), ein ebenfalls bedeutender Vertreter des norddeutschen Späthumanismus, legt ab 1569 den Grundstock einer Büchersammlung für die Rostocker Universitätsbibliothek.

Das frühe 17. Jahrhundert ist eine Blütezeit für die Universität Rostock. Aus Nordeuropa und dem Baltikum finden Studenten in großer Zahl den Weg an die Warnow. Die Theologische Fakultät ist in dieser Zeit innerhalb des Luthertums führend. Johann Friedrich König († 1664) gehört mit seiner in vielen Auflagen erscheinenden „Theologia positiva acroamatica“ (Neuauflage Tübingen 2006!) zu den herausragenden Vertretern der lutherischen Orthodoxie. Gleichzeitig meldet sich die pietistische Reformbewegung in Rostock bereits zu Wort, noch bevor sie in Frankfurt, Halle oder Herrnhut an Boden gewinnt. Johann Quistorp der Ältere († 1648) und sein Sohn Johann Quistorp der Jüngere († 1669) treten in ihren Schriften für eine verinnerlichte Frömmigkeit ein. Heinrich Müller († 1675) wirkt durch seine Bibelauslegungen auf die Passionen Johann Sebastian Bachs. Theophil Großgebauer († 1661) erhebt seine „Wächterstimme aus dem verwüsteten Zion“. Konflikte mit der lutherischen Orthodoxie sind die Folge. Sie eskalieren, als der mecklenburgische Herzog den Theologen Christian Albrecht Döderlein († 1789) aus Halle nach Rostock holt. Diese Entscheidung löst bei den Rostocker Theologen so heftigen Widerstand aus, dass es zur Gründung einer pietistisch geprägten Gegenuniversität (von 1760 bis 1789) in der 30 km südlich von Rostock gelegenen Kleinstadt Bützow kommt. Das ist die zweite Tochtergründung der Rostocker Alma mater. Zu ihren Mitgliedern gehört der Orientalist Oluf Gerhard Tychsen († 1815), der nicht nur durch Ankäufe den Bestand der Universitätsbibliothek wesentlich erweitert, sondern durch seinen Nachlass die spätere UB Rostock mit circa 2.600 wertvollsten Büchern aus dem Bereich der hebräischen und jüdischen Literatur bereichert. Insgesamt hat die Universität Bützow aber nur wenig Erfolg und wird nach weniger als drei Jahrzehnten geschlossen.

Die politischen Umbrüche in der Mitte des 19. Jahrhunderts hinterlassen auch an der theologischen Fakultät ihre Spuren. Julius Wiggers († 1901) und Michael Baumgarten († 1889) schließen sich der revolutionären Bewegung an, müssen dafür aber mit dem Verlust ihrer Professuren bezahlen. In zweiten Hälfte des Jahrhunderts setzt sich in Mecklenburg das Neuluthertum durch. Theodor Kliefoth (†1895), Präsident des Oberkirchenrats, prägt mit seiner hochkirchlichen Theologie nicht nur die Landeskirche, sondern auch die Rostocker Fakultät. Das konfessionelle Luthertum wird für lange Zeit zu ihrem unverwechselbaren Kennzeichen. Dafür stehen vor allem Paul Althaus († 1966) und Friedrich Brunstäd († 1944), die in den Jahren zwischen den Weltkriegen so erfolgreich die Systematische Theologie in Rostock vertreten, dass die anderen Kollegen über leere Seminare klagen. In der Kirchengeschichte setzen Johannes von Walter (†1940) und Ernst Wolf († 1971) neue Akzente in der Frömmigkeitsgeschichte bzw. in der Reformationsgeschichte. Von Bedeutung ist die biblische Archäologie. Ernst Sellin († 1946), der von 1908 bis 1913 in Rostock lehrt, unternimmt in Palästina mehrere Ausgrabungen, u. a. in Jericho, und begründet damit einen Arbeitsschwerpunkt, der in der Rostocker Fakultät bis heute Bedeutung behalten hat.

Das diskussionsfreudige akademische Leben gerät mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in eine Krise. Auseinandersetzungen um das Reichsbischofsamt bilden den Auftakt. Wenig später folgt ein heftiger Streit um die Anerkennung des Ersten Theologischen Examens. Die Theologen der Rostocker Fakultät sind vom politischen Geist der Zeit geprägt, widersetzen sich in ihrer Mehrheit aber den Versuchen der deutsch- christlichen Kirchenleitung in Schwerin, auf die Besetzung der Lehrstühle und die Inhalte der Lehre Einfluss zu nehmen. Der Praktische Theologe Helmuth Schreiner († 1962), Mitbegründer der Jungreformatorischen Bewegung, und der schon genannte Systematiker Friedrich Brunstäd, Mitglied der Bekennenden Kirche, treten dabei besonders in Erscheinung. Die Folgen für die Fakultät sind gravierend: Bei Kriegsende sind mit einer Ausnahme alle Lehrstühle vakant. Friedrich Brunstäd stirbt im November 1944. Der Neutestamentler Friedrich Büchsel kommt beim Einmarsch der Roten Armee im Mai 1945 ums Leben. Allein die Alttestamentler Gottfried Quell († 1976) und Alfred Jepsen († 1979), letzterer als außerordentlicher Professor, vertreten 1945 die Fakultät.

Unmittelbar nach Kriegsende droht das endgültige Aus für die Theologische Fakultät. Der kommunistische Kultusminister in Schwerin, Gottfried Grünberg, plant, die Universitäten im Lande ohne theologische Fakultäten wiederzueröffnen, und begründet dies damit, dass die Theologie an einer fortschrittlichen Universität keinen Platz mehr habe. Erst nach einer Intervention von Dekan Quell bei der Sowjetischen Militärverwaltung wird der Plan fallengelassen. Vermutlich hofften die Sowjets auf diese Weise, die politische Kontrolle über die theologische Ausbildung zu behalten. Im Februar 1946 wird die Universität Rostock in voller Gestalt wiedereröffnet. In die Theologische Fakultät treten Persönlichkeiten ein, die das Gesicht der Fakultät für lange Zeit prägen: Der Neutestamentler Konrad Weiß († 1979) und der Praktische Theologe Gottfried Holtz († 1989); auf dem Lehrstuhl für Systematische Theologie wirkt für mehrere Jahre Martin Doerne († 1970). Als erste Frau an der Theologischen Fakultät lehrt in den 1950er Jahren im Fachgebiet Altes Testament die Dozentin Marie-Louise Henry († 2006). Die Jahrzehnte bis 1989 zeigen einen wachsenden politischen Druck auf die Fakultät. 1970 verliert sie im Rahmen der III. Hochschulreform der DDR den Fakultätsstatus und wird in eine Sektion umgewandelt, die keinen eigenen Rechtsstatus mehr hat. Wie sich an einzelnen Berufungen und den Curricula mit der Einbeziehung des Marxismus-Leninismus zeigt, nimmt der ideologische Einfluss der SED zu. Im Wesentlichen bleibt die theologische Arbeit in Forschung und Lehre jedoch unabhängig. Dafür stehen vor allem der Religionsgeschichtler Peter Heidrich († 2007), der Neutestamentler Hans-Friedrich Weiß (geb. 1929) sowie der Kirchengeschichtler Gert Haendler (geb. 1924). Die Kontakte zu den theologischen Fakultäten Nordeuropas, die in den Baltischen Theologenkonferenzen ihren Ausdruck finden, sind dabei von großer Bedeutung, da die Verbindungen nach Westdeutschland nur in geringem Umfang fortgeführt werden können. Gleichwohl zeigt sich nach dem Fall der Mauer 1989 und der Öffnung der staatlichen Archive, dass auch die Theologische Fakultät durch das Ministerium für Staatssicherheit erheblich überwacht wurde.

Die friedliche Revolution bedeutet auch für die Theologische Fakultät Rostock einen Neuanfang. Der Fakultätsstatus wird 1990 wiederhergestellt. Eine führende Rolle hat dabei der Praktische Theologe Ernst-Rüdiger Kiesow (1926- 2003), der 1990/91 Prorektor der Universität ist. In den frühen 1990er Jahren werden nach und nach alle Lehrstühle neu besetzt.1992 übernimmt mit Anna-Katharina Szagun erstmals eine Frau einen Lehrstuhl an der Fakultät. In ihrer Berufung zur Professorin für Religionspädagogik spiegelt sich die wachsende Bedeutung der Ausbildung zum Lehramt im Zuge der Einführung des Religionsunterrichts an den staatlichen Schulen. Insgesamt wird das Profil der Fakultät wird kulturhermeneutisch und kulturtheoretisch bestimmt. Das Verhältnis von Christentum und Kultur in seiner historischen Dimension als auch im Kontext der Moderne wird zu einem alle Fachgebiete übergreifenden Leitfaden wissenschaftlicher Arbeit. Von Bedeutung ist die Einbindung in zwei geisteswissenschaftliche Graduiertenkollegs „Kulturkontakt und Wissenschaftsdiskurs“ sowie „Deutungsmacht“) sowie die Mitwirkung an den Profillinien der Universität Rostock „Altern des Individuums und der Gesellschaft“ sowie „Wissen-Kultur-Transformation“. Die Gründung der Institute für „Bildwissenschaft“ und „Text und Kultur“ unterstreichen, dass die Fakultät neue Herausforderungen in Wissenschaft und Gesellschaft anzunehmen bereit ist. 

Heinrich Holze